Gastbeitrag - Jair Hoogland über das Mittelgebirge Classique

Gastbeitrag - Jair Hoogland über das Mittelgebirge Classique

Jair Hoogland über seine Erfahrung beim Mittlegebirge Classique

Wir haben Jair gebeten über sein letztes Ultrarennen, das Mittelgebirge Classique zu berichten. In diesem Blog schreibt er über Erlebnisse und wie es ihm dabei ergangen ist.

Vom Start bis zum CP 1
🛣️ 428 km
⛰️ 9148 hm

Der Startschuss fällt pünktlich um 6 Uhr. Da ich kurz vor dem Start noch pinkeln musste, fahre ich etwas hinterher, schließe aber bald zur Spitze auf. Der nun folgende sechs Kilometer lange Anstieg sorgt für erste Entscheidungen in der Gruppe. Ein paar Wildschweine versuchen zu helfen, indem sie mitten durch die erste Gruppe laufen. Zum Glück konnten alle Fahrer:innen rechtzeitig bremsen und kamen mit einem Schrecken davon. 


Auf der Abfahrt hänge ich die ersten ab - schließlich ist es ein Einzelrennen und ich will mich nicht vom Tempo der anderen verrückt machen lassen. Aber bei einem Gruppenstart mit 150 Teilnehmer:innen ist es natürlich unvermeidlich, dass man auf den ersten Kilometern teilweise gemeinsam fährt. Nach einer Stunde hat sich alles aufgelöst, allerdings treffe ich durch die vorgegebene Strecke am ersten Tag immer wieder auf Mitstreiter:innen.

Nach ein paar Hügeln im Pfälzerwald, die für das, was kommt, noch relativ niedrig sind, geht es über den Rhein in Richtung Schwarzwald. Hier beginnt erst der eigentliche Anstieg.

Ich merke, dass ich, wenn es bergauf geht, mühelos Mitfahrer:innen abhänge. Aber auch, dass es umgekehrt ist, wenn es hinunter geht. Es wechseln also ständig die Plätze mit immer den gleichen Leuten um mich herum.

Auf einem der ersten Berge im Schwarzwald treffe ich Zeno, den ich vom Transcontinental Race kenne. Wir unterhalten uns kurz. Wenig später treffe ich Anatole, den ich vom Unknown Race kenne. Er fährt ein Leihfahrrad und hat zwei altmodische Riemen um den Hals hängen. Das sieht schick aus, ist es aber wenig praktikabel. Bald wird auch er wegen eines Materialproblems aufgeben müssen.

Es beginnt heiß zu werden und als ich eine Tankstelle sehe, nutze ich die Gelegenheit, um meine Vorräte aufzufüllen - ich bin nicht der Einzige.

Auf den kurzen Stopp folgt ein Wirrwarr von Anstiegen. Die Strecke, sowohl hier im Schwarzwald als auch später in den Vogesen, ist Vielfältig. Einige Anstiege sind angenehm zu fahren, wie der Radweg nach Freudenstadt, die meisten sind steil oder haben zumindest einen sehr steilen Abschnitt.

Das Wetter ist den ganzen Nachmittag über schön und ich kann mich eigentlich nur über die Kolonnen von Motorradfahrer:innen und Oldtimern beschweren, aber das werden sie wohl auch über die Radfahrer:innen tun. Am Ende des Nachmittags schlägt das Wetter plötzlich um. Es folgt ein heftiger Regen mit Gewitter. An einer baufälligen Kebab-Bude suche ich Schutz. Es sieht so aus, als ob unsere Route direkt auf ein Gewitter zusteuert, was für mich ein No-Go ist, besonders in den Bergen. Ich bin nicht der Einzige, der das denkt, denn langsam aber sicher füllt sich das baufällige Dönerzelt mit verwahrlosten, müden und stinkenden Radfahrer:innen.

Nachdem ich dreißig Mal auf alle Wetter-Apps geschaut habe beschließe ich, weiterzufahren. Es ist ein bisschen ein Glücksspiel, aber es sieht so aus, als sollte ich zuerst nach Osten fahren, während das Gewitter nach Westen zieht. Wenn das nicht klappt, muss ich wieder irgendwo Schutz suchen, wahrscheinlich an einem weniger bequemen Ort.

Glücklicherweise geht es gut aus, so dass ich das verbleibende Tageslicht so weit wie möglich ausnutzen kann. Da es hier wenige Hotels gibt möchte ich heute Abend CP1 erreichen und dort kurz schlafen. Die Verspätung macht diese Planung fast unmöglich, aber einen Plan B habe ich auch nicht, da es draußen wirklich zu kalt und nass geworden ist.

Ich komme im Hellen so gut wie möglich voran, muss aber dennoch ein längeres Stück als geplant in der Nacht zurücklegen. Bei Oberreid treffe ich Hanna, die mich vor einem gefährlichen Abstieg kurz vor dem CP warnt. Gut zu wissen. Ich steige ohnehin nicht sehr stark und immer ohne unnötiges Risiko ab, aber das ist unangenehm zu hören.

Nachts abzusteigen ist überhaupt schwierig. Wenn man müde ist und nicht in die Pedale treten muss, muss man sich einfach nur konzentrieren, aber das ist schwierig, wenn die Herzfrequenz sinkt. Da schaltet man sozusagen ab. Also mache ich sicherheitshalber zwei 10-minütige Powernaps. Am Ende stellt sich heraus, dass ich die anspruchsvolle Abfahrt kenne, und dank dieses Vorwissens ist sie nicht allzu schlimm.

Als es wieder hell wird, erreiche ich CP1 und ergattere das letzte freie Bett.



Von CP1 nach CP2
🛣️ 253 km
⛰️ 5119 hm

Nach eineinhalb Stunden Schlaf und einer kurzen Dusche versuche ich, wach zu werden. Inzwischen sind mehrere Radfahrer:innen am CP angekommen. Es sind Radler, die ein Hotel gefunden haben und viel frischer aussehen. Unter ihnen sind auch Glen und Dominique, die ich vorhin getroffen habe. Ich habe also eine schlechte Wahl getroffen. Ich habe den Schlaf schlecht getimed und bin in der Nacht mit viel geringerer Geschwindigkeit weitergefahren. Schade, es gab offenbar viele Möglichkeiten, die ich verpasst habe.

Ich beschließe, ein schnelles Frühstück einzunehmen und vor allem so viel wie möglich mit dem Fahrrad zu fahren. Denn diese schlecht ausgefallene Wahl hat mir einige Plätze gekostet.

Nach einer letzten Steigung im Schwarzwald kommt eine der wenigen flachen Streckenabschnitte. Das Rheintal hinunter von Deutschland nach Frankreich. In einem der Dörfer fülle ich meine Vorräte auf und kann 60 km lang Gas geben - war mein Plan. Leider habe ich zweimal eine Reifenpanne und muss einen kleinen Umweg machen, um neue Schläuche zu kaufen. Ich habe zwar Aufkleber dabei, kann es aber nicht riskieren, daran herumzufummeln, wenn es nicht nötig ist. Auch hier kommt es zu Verzögerungen, aber ich weiß auch, dass das Rennen noch lang ist. Es ist ärgerlich zu sehen, wie ein Fahrer nach dem anderen beim Reifenwechsel grüßt.

Nach meinen Eskapaden im Tal erreiche ich die Vogesen und der Aufstieg kann beginnen. Über ein paar mir unbekannte kleine Pässe und die Petit B petit ballon darf ich mitten am Tag die Trois Ballons fahren.

Oben auf dem Gran Ballon beschließe ich, mir die Zeit zu nehmen, um zum ersten Mal in aller Ruhe etwas zu essen: eine Torte. Der liebe Gott straft sofort, denn die 15 Minuten, die ich mir dafür genommen habe, reichten aus, um ein aufziehen zu lassen. Mitten im Abstieg muss ich also Schutz vor der Gewalt der Natur suchen. Später höre ich von Leuten, die noch auf dem Gipfel waren, dass dort ein Blitz eingeschlagen ist. Als ich herunterkomme, stellt sich heraus, dass das Tal völlig trocken ist. Wenn ich doch nur...

Wenn ich nur nicht eine Pause gemacht hätte, also fahre ich weiter, um noch einmal bei Tageslicht so weit wie möglich voranzukommen. Es ist realistisch, heute Abend das Gasthaus an CP2 zu erreichen, auch wenn das bedeutet, die Planche des Belles Filles bei Nacht zu bewältigen. Aber: hell oder dunkel, hart ist es allemal.

Nach der Planche folgt der Ballon de Servance und ein schmaler steiler Radweg in den dunklen Wald. Nun ist es bei solchen Rennen nicht erlaubt, im Windschatten der anderen zu fahren, aber nebeneinander ist erlaubt. An diesem Anstieg sah ich mehrere Leute nebeneinander fahren. Nennt mich einen Nörgler, aber meiner Meinung nach ist es deutlich einfacher in der Nacht zu zweit zu fahren, als alleine. Ich überhole diese Fahrer, eine der beiden Gruppen entpuppt sich als Duo, also doch nicht so schlimm, wie es aussieht. Trotzdem ein Grund zum Nachdenken.



Über Little Finland erreiche ich gegen drei Uhr CP2: Auberge La Haute Fourche. Die Pasta ist fertig und ich kann duschen und ins Bett.

Von CP2 bis zum Ziel
🛣️ 396 km
⛰️ 6726 hm

Nach zwei kurzen Stunden stehe ich auf, frühstücke und fahre wieder los. Wenigstens versuche ich wegzukommen, aber als Mitglied von Ledig Erf muss ich mich noch mit dem Besitzer des Gasthauses fotografieren lassen. Denn dieser ist auch der Gründer des Cafés Ledig Erf in Utrecht. Ein sehr schönes Gasthaus, aber ich will nur noch weg, um Meter zu machen.

Es ist noch früh und die Wolken hängen in den Bergen. Charlotte, eine der Fotografinnen, ist begeistert, sie erzählt CP davon. Bei der Abfahrt verstehe ich, es ist schön, aber es macht einen nass.

Alles, was über 1.000 Meter liegt, ist heute gut für einen Neoprenanzug, alles darunter ist in Ordnung. Ich bin froh über die Wolken, nicht wie Charlotte für Bilder, sondern weil es nicht so heiß ist wie gestern.

Ich kannte diesen Teil der Vogesen noch nicht, aber warum es hier so schön grün ist, ist offensichtlich. OK, es regnet nicht wirklich, aber feucht ist es schon.

Bei jedem Anstieg hole ich Leute ein, die mich dann beim Abstieg wieder einholen. Diese Szene mit ein paar der gleichen Radfahrer hört erst auf, als sie an einem Supermarkt einen längeren Halt machen und ich weiterfahre. Ich fahre also nur weg von ihnen, indem ich mein Pausenverhältnis so gering wie möglich halte.

Ab dem Col du Donon begegne ich eigentlich niemandem mehr. Vielleicht haben sie ja doch öfter angehalten, als ich. Da merkt man erst, wie einsam es in dieser Gegend ist. Der nächste Anstieg, der durch das Reservat nun folgende Aufstieg durch das Grossman-Reservat ist eine mentale Herausforderung. Nicht, weil er schwierig ist, sondern weil er so eintönig ist, und mit kaum Abwechslung in der Landschaft sehr langweilig.

Auch diese Challange überstehe ich, und über den Kanal zwischen Marne und Rhein gibt es tatsächlich noch ein flaches Stück auf der Strecke. Dieser führt in den nördlichen Teil der Vogesen, wo die Berge zu Hügeln werden und die Strecke nicht mehr über 600 Meter ansteigt.

Es sind zwar nur noch 160 km, aber es wird dunkel und das Tempo lässt nach. Ich will versuchen, innerhalb der drei Tage ins Ziel zu kommen, muss dafür aber mein Bestes geben.

Um die Abfahrten sicher zu meistern, muss ich zwei Powernaps einlegen. Als ich das zum zweiten Mal tun will, stellt sich heraus, dass das Wartehäuschen bereits von Cap 50 benutzt wird. Irritierend, aber auch schön, denn wenn er länger als mein 10-Minuten-Nickerchen bleibt, rücke ich einen Platz weiter.

Das klappt dann auch, aber beide 10-Minuten-Power-Naps und noch etwa acht Minuten mehr schaffe ich nicht in den drei Tagen. Ich erreiche das Ziel bei Tagesanbruch um 06:28 Uhr. 3 Tage und 28 Minuten nach dem Start.

Vielen Dank Jair für den ausführlichen Bericht und gratuliere zu deinem erfolgreichen Rennen.

Fotos (C) Charlotte Gamus, Carla Kroell 


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