MittelgebirgeClassique - Höhenmetersammeln im deutsch-französischen Grenzgebiet
Das MittelgebirgeClassique 2024 war ein ultimativer Test für Ausdauer und Durchhaltevermögen. Adam Bialek, ein begeisterter Radfahrer und Gastautor dieses Blogs, teilt seine fesselnde Geschichte über seine Teilnahme an diesem epischen Rennen. Von den Herausforderungen der Strecke bis hin zu unerwarteten Wendungen unterwegs bietet sein Bericht einen faszinierenden Einblick in die Welt des Ultra-Radsports.
Am 01.11.2023 wurde die Anmeldung zum MittelgebirgeClassique eröffnet. Innerhalb von 3 oder 4 Stunden sollen über 160 Anmeldungen eingegangen sein, bei ursprünglich 100 verfügbaren Startplätzen. Ein überwältigender Andrang, an dem ich mich ebenfalls beteiligt hatte, denn eine Anmeldung stammte von mir.
MittelgebirgeClassique - oder kurz MC - mit Start und Ziel in Neustadt an der Weinstraße ist ein Ultradistanz-Rennen mit vorgegebener höhenmeterreicher Strecke. Die offiziellen Eckdaten der dritten Austragung 2024 lauten: 1061 km und 20070 Höhenmeter, was mich selbstredend sehr anspricht, bzw. bereits vor einiger Zeit stark angesprochen hatte. Die Tatsache, dass der Startort für mich (im Gegensatz zu den meisten Veranstaltungen dieser Art) sehr unkompliziert und schnell zu erreichen ist, machte die Entscheidung für eine MC-Teilnahme einfacher. Zudem kannte ich weder den Pfälzerwald, noch die Vogesen aus Radfahrersicht und hatte riesige Lust, die Gegend zu erkunden.
Als erstes Rennen meiner Saison sollte MC um 6:00 Uhr, am 12.05.2024 starten, und zwar etwas südlich, außerhalb von Neustadt. Am Tag vorher waren jedoch einige organisatorische Dinge zu erledigen, was gleichzeitig die Gelegenheit bot, sich mit bekannten und unbekannten Mitstreitern auszutauschen - immer wieder nett. Angesichts der Startuhrzeit war ein zeitiges Aufsuchen der Unterkunft angesagt, um möglich frühzeitig ins Bett zu kommen. Dies gelang mir zwar, aber leider kamen dennoch nicht so viele Schlafstunden zustande, wie ich es gerne hätte. Keine idealen Voraussetzungen angesichts meiner angedachten Rennstrategie.
Während sich die Fahrerinnen und Fahrer am Start versammelten, kündigte sich ein sonniger Tag an, was meine Vorfreude noch weiter nach oben drückte. Vom Start weg standen bereits die ersten Höhenmeter auf dem Programm. Nach einigen km gesellte sich ein Mitfahrer zu mir (die Nachbetrachtung zeigt, dass es Tobias Fuchs Cap-Nr. 68 war), der von Beginn an ein scharfes Tempo anschlug. Eine Weile fuhren wir in Sichtweite, aber noch bevor wir das erste Mal die französische Grenze erreichten ließ ich ihn ziehen. Dafür bekam ich Gesellschaft durch Fynn Graf Cap-Nr. 127, den ich bereits 2022 kennengelernt hatte. Wir fuhren gemeinsam nach Frankreich hinein, bis ich mich an einem der dortigen Anstiege absetzte.
Nach einem Flachstück mit Rhein-Überquerung erreichte ich den nördlichen Schwarzwald. Kurz vor der Kuppe des ersten längeren Anstiegs zur Roten Lache kam Tobias Cap-Nr. 68 wieder in Sichtweite. In der folgenden Abfahrt, nach etwa 150 gefahrenen km, überholte ich ihn und übernahm damit die Führung. Das sollte für viele nachfolgende Stunden die letzte Begegnung mit einem Mitfahrer werden. Im weiteren Tagesverlauf kam ich gut vorwärts, legte zwischendrin einen Tankstellenstopp ein. Während der Anfahrt nach Titisee-Neustadt, dem süd-östlichsten Punkt der Tour näherte ich mich immer mehr einer bedrohlich dunklen Wolkenkonstellation und hoffte ihr entkommen zu können, sobald ich der vorgegebenen Strecke folgend, nach Westen abdrehe.
Dies gelang weitestgehend. Zwar regnete es zeitweilig etwas, aber ich blieb von größerem Unheil verschont. Zunehmend brach die Dunkelheit heran, aber der Weg zum ersten Kontrollpunkt CP1 am Wanderheim Stockmatt bei km 430 war nicht mehr weit. Ich erreichte ihn gegen 23:30 Uhr, und verweilte nicht sonderlich lange. Das gewissenhafte Putzen der Radbrille war wohl die zeitaufwändigste Prozedur am CP1. Mit dem ersten Stempel in der Kontrollkarte stürzte ich mich in die Abfahrt und verließ somit den Schwarzwald.
Säuberlich in Reih und Glied vor dem Start.
Eine Baustelle am Bahnhof in Müllheim gestaltete sich als nerviges Hindernis. Mehrmals fuhr ich hin und her, ohne eine brauchbare Möglichkeit zur Querung der Gleise zu finden. Nur dank des Hinweises eine Passanten fand ich den versteckten, unbeschilderten, unbeleuchteten Durchgang. Noch vor der erneuten Überquerung des Rheins deckte ich mich Nahrung und Flüssigkeit ein, bevor ein Flachstück zu den ersten Ausläufern der Vogesen folgte. Während der Nacht überquerte ich Col du Bannstein, Col du Firstplan und Col du Petit Ballon.
Unmittelbar angeregnet hat es mich nicht, aber die Straßen waren durchgehend nass und das Ambiente aufgrund der omnipräsenten Feuchtigkeit nicht sonderlich einladend. Pünktlich zum Sonnenaufgang erreichte ich den Gipfel des Col du Grand Ballon, des höchsten Punkts der diesjährigen MC-Ausgabe.
Die ersten Sonnenstrahlen wurden von der dichten Bewölkung sehr wirkungsvoll blockiert und der erhofft großartige Ausblick von hier oben war leider ziemlich eingeschränkt. Also ab in die nächste Abfahrt, um gleich drauf den nächsten Col zu erklimmen. Nach einer weiteren Abfahrt fand ich mich in einem Tal wieder, wo ich auf einen Radweg gelotst wurde, den ich als blödsinnig bezeichnen würde. Er war gespickt von querenden Vorfahrtstraßen und voll mit Unmengen an Unrat.
In Kombination mit dem feuchten Untergrund bildete sich somit eine dicke Dreckschicht um die Reifen, und es kam wie es kommen musste. Kaum endete der Radweg zischte die Luft am Hinterrad heraus. Ich kam in einem Ortskern zum Stehen und machte mich unter der Beobachtung eines Anwohners ans Werk. Er kam zu mir, versuchte mich in ein Gespräch zu verwickeln, während ich ihn unmittelbar danach fragte, ob er einen Kompressor zur Verfügung hätte.
Den hatte er zwar, aber der Reifendruck den ich damit zustande bekam war etwas unzufriedenstellend. Naja, vermutlich immer noch besser, als das was ich mit der Minipumpe hinbekommen hätte.
Sieht mehr nach Grünwald statt Schwarzwald aus.
Zwei Berge später empfingen mich pünktlich um 12 Uhr zwei Helfer am CP2 La Haute Fourche bei km 665. Während meine Kontrollkarte gestempelt wurde, schnappte ich mir eine Standpumpe, die ich dort entdeckte, um das Hinterrad zu versorgen. Spontan und für mich untypisch entschied ich mich einzutreten und die am CP2 angebotene Pasta zu mir zu nehmen. Plötzlich wurden alle Anwesenden von einem massiven Knall aufgeschreckt. Ich schlug umgehend die Hände über dem Kopf zusammen. Während einer der Volunteers herausging, um den Sachverhalt zu prüfen war es mir völlig klar, dass mein Schlauch am Hinterrad explodierte.
Beim Blick in den Teller ging mir ein Schauer über den Rücken. Was wäre passiert, wenn ich nach dem Stempeln der Karte und Aufpumpen unmittelbar weitergefahren wäre, ohne dieser spontanen ungeplanten Essenspause? Ich aß die letzten Nudeln, bevor ich anschließend zum Rad hinausging. Die Explosion hat den Reifen von der Felge heruntergesprengt. Er verfing sich am Bremsenkörper. Das Rad ließ sich im ersten Moment nicht drehen und ich musste etwas herumhebeln, um den Reifen zu befreien und das Rad herausnehmen zu können. Zügig prüfte ich den Reifen und das Felgenbett, setzte meinen zweiten Ersatzschlauch ein und begann ihn mittels der Standpumpe zu befüllen. Nach wenigen Pumpenhüben knallte es erneut. Der Schlauch platzte wieder.
Ich war fassungslos. Ganz offensichtlich wiesen die Schläuche einen Produktionsfehler auf. Sie platzten exakt entlang einer der Trennwülste auf. Ich begann damit, den kaputten Schlauch der meinen ersten Platten hervorrief zu flicken. Dabei realisierte ich allmählich, dass ich mit insgesamt vier Schläuchen des gleichen Typs am Start stand. Zwei davon waren in den Laufrädern verbaut, während zwei bereits katastrophal versagten und mir um die Ohren flogen. Es gelang zwar den defekten Schlauch zu flicken und das Rad wieder fahrbereit zu machen, aber mir kam der Gedanke, dass ich auf einer fahrenden Zeitbombe sitzen würde, falls ich die Fahrt fortsetze.
Das Vertrauen ins Material war gänzlich verpufft. Im weiteren Verlauf des Rennens standen noch zahlreiche Anstiege, Abfahrten, Schlaglöcher und eine Nachtfahrt bevor. Inzwischen hatte ich meinen knapp zweistündigen Vorsprung eingebüßt - Constantin Bachmann Cap-Nr. 1 und Bruno Wicht Cap-Nr. 56 trafen bereit am CP2 ein. Mich beschäftigten jedoch andere Gedanken, als dieser Verlust. Mit mulmigem Gefühl begab ich mich in die Abfahrt ins Tal, in dem die Mosel fließt.
Die Wetterbedingungen waren an diesem Nachmittag beinahe ideal. Die Sonne zeigte sich die meiste Zeit und zwischendurch zogen Wolkenfelder durch, wobei die Straßen in den Bergen nach wie vor nass waren. Ein Mal erwischte mich ein kurzer Regenschauer, dabei sollte es aber auch bleiben. Von oben kam kein weiterer Niederschlag nach. Gegen 19 Uhr nutzte ich eine der seltenen Gelegenheiten und tätigte einen letzten Einkauf. Vor 21 Uhr holte mich Constantin Cap-Nr. 1 in einem flachen bzw. leicht abschüssigen Abschnitt ein. Wir unterhielten uns kurz, und fuhren eine Zeit lang in Sichtweite zueinander, bis ich eine Pinkelpause einlegen musste. Danach bekam ich ihn nicht mehr zu Gesicht und er gewann MittelgebirgeClassique 2024 souverän, mit einer beeindruckenden Leistung.
Etwa eine Stunde nach der Begegnung mit Constantin holte mich Bruno Cap-Nr. 56 am Anstieg zu Col du Brechpunkt ein. Wir wechselten einige Worte, bevor er sich absetzte. Meine Verfolgung wurde in der Abfahrt durch einen weiteren Platten unterbrochen. Mitten im Nirgendwo behob ich den Schaden in der Dunkelheit und setzte die Nachfahrt fort. Kurz nach 1 Uhr begann mir die Müdigkeit massiv zu schaffen zu machen.
Ich beschloss einen 10-minütigen Powernap auf einer Bank am Straßenrand einzulegen. Danach fühlte ich mich zunächst wieder voller Tatendrang, aber nur kurz, bis ich das Tal des Flusses Zorn erreichte. Dort war es neblig und unangenehm feucht. Im weiteren Verlauf der Strecke, nachdem das Tal hinter mir lag, wurde die Sicht wieder besser. Gegen 3:30 Uhr stoppte ich schließlich ein zweites Mal für eine knapp 30-minütige Schlafpause in einer Haltestelle. Danach ging es ohne weitere Pausen Richtung Pfälzerwald.
Kurz vor 6 Uhr gelangte ich wieder auf deutschen Boden, wobei der Weg dorthin von erheblicher Müdigkeit begleitet wurde. Schließlich begann jedoch die Sonne hervorzublitzen, was meine Laune selbstredend erheblich steigerte und die Müdigkeit verfliegen ließ. Als ich einen letzten Blick auf das GPS-Tracking warf erkannte ich, dass Bruno Cap-Nr. 56 an diesem Morgen lediglich einen knappen Vorsprung gegenüber mir hatte. Vielleicht hätte ich etwas früher draufgucken sollen. Gegebenenfalls hätte mich das bereits etwas früher beflügelt und ich hätte ihn vielleicht noch abfangen können. So blieb es jedoch beim dritten Rang. Ich kam ca. 20 Minuten nach Bruno am Ziel, dem Hambacher Schloss, an.
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